Ein Wort zum VfGH Urteil

Es liegen inzwischen drei Rechtsprechungen des VfGH vor, die den Wesenskern der Demokratie verfehlen und das demokratische Prinzip an sich verletzen. G103/00; G62/05 und G166/2020; der gemeinsame Nenner dieser drei Rechtsprechungen des VfGH ist das bürgerliche Initiativrecht zur Herbeiführung von Volksabstimmungen; G62/05 auf Bundesebene, G103/00 auf Landesebene, G166/2020 auf Gemeindeebene.

Zu G166/2020 – laut VfGH Entscheidung schließen das repräsentativ demokratische Grundprinzip und das System der Gemeindeselbstverwaltung es aus, dass ein Gemeinderat auch gegen seinen Willen an eine demokratische Entscheidung des Wahlvolks bzw. einen sich daraus ergebenden Rechtsakt gebunden werden könne. Damit steht seine juristische Entscheidung der Auffassung des Verfassungsgesetzgebers (Parlament) diametral entgegen, denn dieser sieht für die „unmittelbare Teilnahme“ (Volksabstimmung) in Art 117. Abs. 8 Bundes-Verfassungsgesetz vor, dass bei ihr die Entscheidung des Wahlvolks anstelle des ansonsten zuständigen Organs (Gemeinderat) tritt. Die Textstelle aus dem Erläuterungstext der Regierungsvorlage im Wortlaut:

Worin besteht der Wesenskern der Demokratie?

Demokratie heißt im Wesentlichen über die eigenen Angelegenheiten selbst entscheiden zu können. Darin besteht die demokratische Freiheit.

Warum verfehlen die besagten Rechtsprechungen des VFGH den Wesenskern der Demokratie?

Weil der Verfassungsgerichtshof (VfGH) in seiner Rechtsprechung das demokratische Prinzip der Bundesverfassung auf ein von ihm so genanntes repräsentativ demokratisches Grundprinzip als Baugesetz der Verfassung und Systementscheidung reduziert.

Weil das demokratische Prinzip aus zwei grundlegenden Elementen besteht, dem direkt demokratischen und dem repräsentativ demokratischen, die als (zumindest) gleichberechtigte und einander ergänzende verstanden werden und nicht als Herrschaft des einen über das andere.

Und weil die Folge dieser Rechtsprechung die Abschaffung ebendieses bürgerlichen Volksabstimmungsrechts ist, in dem sich das direkt demokratische Element in seiner reinsten Form verkörpert (ein Demos, der über eine ihn betreffende Angelegenheit abstimmt.)

Dem Volk das Recht vorzuenthalten bzw. zu entziehen eine Volksabstimmung herbeizuführen verfehlt den Charakter der Demokratie und verstößt gegen das demokratische Prinzip an sich. Das demokratische Prinzip der Bundesverfassung ist vor allem in Artikel 1 B-VG festgeschrieben: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“

Weil das bürgerliche Volksabstimmungsrecht das Kernstück der Demokratie ist, soll es in der Verfassung festgeschrieben werden. Im Grunde genommen ist das eine demokratische Selbstverständlichkeit. In demokratisch verfassten Rechtsstaaten liberalen Zuschnitts ist der Souverän das Volk. Dem Volk dieses Recht abzusprechen bzw. vorzuenthalten, verweigert ihm die Anerkennung als Souverän. In der Verfassung soll nicht nur stehen, dass das Recht der Republik vom Volk ausgeht, sondern auch wie es das tut: Teils unmittelbar, durch Abstimmungen der Bürgerinnen und Bürger (Volksabstimmungen), teils mittelbar, durch Abstimmungen gewählter Repräsentanten im Parlament (Gesetzesbeschlüsse).

Demokratie heißt, berechtigt zu sein am demokratischen Spiel mitzuspielen und über die eigenen Angelegenheiten selbst entscheiden zu können. Darin besteht die demokratische Freiheit. Und wenn die Bürgerinnen und Bürger es wollen, dann müssen auch die Spielregeln (Verfassung) verändert werden können. Und zwar auch dann, wenn die dominanten Spieler (Politiker und im Fall der Bundesverfassung: von der Politik bestellte Verfassungsrichter), das nicht wollen und genau dieses Spiel (demokratische Verfassungsreform, Behebung der demokratischen Defizite der Bundesverfassung) zu verhindern versuchen.

Weil das Ergebnis einer demokratischen Volksabstimmung, die weder gegen die Menschen- und Grundrechte noch gegen völkerrechtliche Bestimmungen verstößt, von der demokratischen Politik zu akzeptieren ist und genau so, wie repräsentativ demokratische Entscheidungen, verbindliche Rechtsakte nach sich ziehen soll. Denn eine Demokratie, in der sich die politischen und rechtlichen Entscheidungsträger über eine Mehrheitsentscheidung hinwegsetzen, hört auf eine Demokratie zu sein.